Vom Eisfeld bis zum Frischmarkt: So versucht man in Zürich neue Stadtteile zu beleben
Wie integriert man einen neuen Stadtteil wie Luzern-Süd in die bestehenden Gemeinden? Wo sollen sich die Bewohner treffen können? Anschauungsunterricht gibt’s in der Region Zürich. Nicht immer ist das Vorhaben gelungen – noch nicht. Roman Hodel 21.7.2018, 05:00 Uhr
Die Dimensionen sind für viele noch immer gewöhnungsbedürftig: Bei der S-Bahn-Station Kriens-Mattenhof wachsen auf engem Raum zurzeit mehrere, bis zu 14-stöckige Wohn- und Bürogebäude in die Höhe. Die Mikropole Mattenhof, wie sie von den Investoren bezeichnet wird, soll dereinst das Herz von Luzern-Süd bilden, dem neuen Stadtteil mit künftig rund 7000 Arbeitsplätzen und 8000 Bewohnern. Auf Projektvisualisierungen sind von vielen Menschen frequentierte Plätze und Gassen zu sehen. Doch die Realität in solchen Retorten-Stadtteilen sieht oft anders aus.
Das zeigt ein Blick nach Dietikon, einem Vorort westlich von Zürich mit rund 27'000 Einwohnern. Auf einer Industriebrache in der Grösse von 20 Fussballfeldern ist in den letzten Jahren das neue Quartier Limmatfeld entstanden. 2300 Menschen leben in städtisch anmutenden, rund um Innenhöfe gruppierten Wohnhäusern – so wie man es aus typischen Gründerzeit-Vierteln wie dem Luzerner Hirschmattquartier kennt. Auf den Visualisierungen herrscht analog zu Luzern-Süd emsiges Treiben: Es wimmelt von Menschen – alle sind am Einkaufen oder Telefonieren.
Zum Grillabend kommen 10 der 2300 Bewohner
Dass die private Entwicklerin des Limmatfelds immer noch mit solchen Visualisierungen wirbt, ärgert Peter Metzinger. Er ist Präsident des Quartiervereins Limmatfeld, sitzt für die FDP im Dietiker Stadtparlament und sagt: «Das grenzt an unlautere Werbung – unser Quartierleben ist leider noch alles andere als pulsierend.» Metzinger ist vor drei Jahren in den Limmat-Tower eingezogen: Die Aussicht von oben, der urbane Charakter des Quartiers und die Nähe zur Natur und zu Zürich haben ihn angezogen – und er fühlt sich wohl. «Schade ist jedoch, dass viele Zuzüger aus Zürich ihren Lebensmittelpunkt mitsamt Freunden dort behalten und das Limmatfeld so zum Schlafquartier verkommt.» Die S-Bahn begünstigt dies, denn sie benötigt bloss 15 Minuten bis Zürich HB. Metzinger spricht aus eigener Erfahrung: «Ich lebte zuvor auch in Zürich – es dauerte zwei Jahre, bis ich nur schon zu einem Dietiker Frisör wechselte.»
«Die Visualisierungen grenzen an unlautere Werbung – unser Quartierleben ist leider alles andere als pulsierend.»
Peter Metzinger, Quartierverein Limmatfeld
Einen anderen Grund für das fehlende Quartierleben ortet der 53-Jährige in den zahlreichen, teils seit Jahren leerstehenden Ladenlokalen: «Die Erdgeschosse wirken bis auf einige Ausnahmen öd.» Und dann sei da noch das Sorgenkind Rapidplatz: «Abgesehen vom mittwochs stattfindenden Abend-Frischmarkt ist hier kaum etwas los», so Metzinger. Es fehle ein Gesamtkonzept der Stadt, deshalb habe er im Parlament einen entsprechenden Vorstoss eingereicht.
Er fasst es so zusammen: «Das Limmatfeld ist momentan noch ein Fremdkörper in der Stadt, der aber am Ankommen ist.» Dafür sorgt nicht zuletzt der Quartierverein. Einmal im Monat findet etwa ein Grillabend statt – sogar im Winter. Zwar kommen im Schnitt bloss etwa 10 Leute – mit Blick auf die 2300 Bewohner ein Klacks. «Irgendwo muss man ja anfangen», sagt Metzinger und hofft auch auf die Stadt, die seiner Meinung nach «ruhig etwas mehr tun könnte», um das Quartier zu beleben.
Stadtfest wird extra im neuen Quartier ausgerichtet
Aus Sicht der Stadt Dietikon unternimmt man jedoch bereits viel, um das Quartier zu beleben: Uwe Krzesinksi, Stellvertreter der Stadtschreiberin, erwähnt das Eisfeld, das über mehrere Jahre im Winter auf dem Rapidplatz aufgebaut wurde oder diverse gut besuchte, befristete Anlässe: «Auch der Abend-Frischmarkt wurde von der Stadt initiiert.» Und schliesslich finde das Stadtfest vom 31. August bis 2. September ebenfalls im Limmatfeld statt. «Es soll eine Verbindung zwischen den verschiedenen Stadtteilen herstellen», sagt Krzesinksi.
Man dürfe nicht vergessen, dass der Stadtteil von privaten Investoren entwickelt und gebaut worden sei. Zusammen mit ihnen und der Standortförderung würden aber laufend Angebote geprüft und geschaffen. Der Quartierverein etwa sei auf Initiative der Standortförderung entstanden. «Die Integration eines neuen Stadtteils ist ein langer Prozess», gibt Krzesinksi zu bedenken. «Obwohl heute im Limmatfeld fast jeder fünfte Einwohner schon vor seinem Zuzug in Dietikon gelebt hat.» Trotz vielseitigem Vereinsleben und abwechslungsreichem Kulturangebot wolle sich nicht jede Einwohnerin und jeder Einwohner am Wohnort engagieren. «Das muss die Stadt akzeptieren.»
«Man kann ein Quartierleben nicht erzwingen. Für nicht mal wenige ist eine Wohnung nur ein Schlafplatz.»
Marcel Amhof, Gemeinde Wallisellen
Dass aktuell vor allem Single- und Paarhaushalte dominieren, liegt laut Krzesinksi am Wohnungsangebot. Dank 200 Genossenschaftswohnungen, die zurzeit im Bau sind, dürften bald viel mehr Familien zuziehen. Allerdings ist das Schulproblem im Quartier nach wie vor ungelöst. Die Stadt wollte hierfür ursprünglich Räume mieten, doch das Vorhaben scheiterte an der Urne. Auf einem eigenen Grundstück plant sie zwar nun ein neues Schulhaus – doch dieses Projekt ist durch einen Rechtsstreit blockiert.
Gastrolokale sind teils nur zu Bürozeiten geöffnet
Auch in Wallisellen, einem Vorort mit rund 16'000 Einwohnern nord-östlich von Zürich, wurde mit dem Richti-Areal innerhalb weniger Jahre ein städtisch geprägtes Quartier aus dem Boden gestampft. Im Gegensatz zum Limmatfeld arbeiten hier viel mehr Menschen: Es gibt rund 3500 Arbeitsplätze – ein Grossteil davon in den Bürogebäuden von Allianz und UPC. In den 500 Wohnungen leben rund 1200 Personen. Auch hier versucht ein Quartierverein die Menschen zu vernetzen – er zählt immerhin 100 Mitglieder. «Das ist doch ein Anfang», sagt Präsident Patrick Nasciuti. Unter anderem steigt vier Mal jährlich an einem Samstag ein Frühstück – rund 50 Bewohner kommen jeweils. «Es dürften ruhig ein paar mehr sein – aber es braucht wohl ein paar Jahre, bis eine Basis da ist», sagt Nasciuti.
Der 36-jährige Tessiner ist ein typischer Richti-Areal-Bewohner: Er ist wegen des Jobs aus einem anderen Kanton hergezogen und schätzt das städtische Feeling mitten in der Agglo. «Unser Quartier ist dank der vielen Arbeitsplätze zwar tagsüber belebt, aber abends wird es ruhig», so Nasciuti. Was unter anderem daran liegt, dass es insbesondere in den Mietwohnungen häufig zu Wechseln kommt. Zudem hätten gewisse der zahlreichen Gastrolokale nur tagsüber für die Büroangestellten geöffnet – dies trage abends nicht gerade zum Quartierleben bei. Und da ist wie in Dietikon die Sache mit den leeren Ladenlokalen. «Das Einzige, was zieht, sind Lebensmittel und Dienstleistungen wie etwa eine Kleiderreinigung.» Das Richti-Areal hat allerdings mit dem Glattzentrum auch eine übermächtige Konkurrenz in unmittelbarer Nähe.
Alt- und Neu-Walliseller durchmischen sich kaum
Damit das Richti-Areal in Wallisellen ankommt, hat die Gemeinde von 2014 bis 2017 extra eine Quartierförderung initiiert. Die Person, angestellt in einem 20-Prozent-Pensum, war auf dem Areal präsent und funktionierte als Anlaufstelle für die Bewohner. «Aus Sicht des Gemeinderats war es ein erfolgreiches Projekt», sagt Marcel Amhof, Kommunikationsverantwortlicher der Gemeinde. «Wir konnten die Vernetzung unter den Areal-Bewohnern anschieben und es gibt einen funktionierenden Quartierverein.» Allerdings sei nicht von der Hand zu weisen, dass der Austausch und die Durchmischung der Alt- und Neu-Walliseller schwierig seien. «Das hat aber auch geografische Gründe, weil die Bahngleise den alten und neuen Gemeindeteil trennen», sagt Amhof. Abgesehen davon könne eine Gemeinde nur beschränkt Einfluss nehmen auf solche Entwicklungsgebiete: «Etwa indem wir beim Gestaltungsplan dafür sorgen, dass genügend Freiräume entstehen.»
Öffentliche Nutzungen seien für das Richti-Areal kein Thema gewesen, weil diese bereits im Dorfzentrum existieren. Was noch fehlt, ist – analog zu Dietikon – ein Schulhaus, aber hier läuft laut Amhof die Planung. Er sagt es so: «Letztlich kann man ein Quartierleben nicht erzwingen, das braucht Zeit – und für nicht wenige bedeutet eine Wohnung nun mal wirklich nur einen Schlafplatz.»
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